Liebe Franziska Schutzbach
Ich begegne Ihnen oft in den letzten Monaten: in Interviews, Artikeln, Tagungen, Gesprächsrunden, Buchrezensionen und staune über Ihre klaren unmissverständlichen Worte. Sie sind eine wortgewaltige Frau. Das freut mich und gefällt mir: Kein Beschönigen, kein Herumgedruckse, keine falschen Rücksichtnahmen.
Sie sind die andere, neue Generation: «meine Tochter» - ein falscher Begriff – ich weiss. Ich hoffe, Sie nehmen ihn mir nicht übel. Er ist für mich irgendwie tröstlich. Sie sind 30 Jahre jünger. Das ist viel, das ist gut und entlastet mich.
Sie reden in Ihrem Buch «Erschöpfung der Frauen»* vom Feminismus Burn-out. Ich habe bis jetzt meine Situation als Feminismus Behinderung bezeichnet und meine damit: Wir alten Frauen spüren immer stärker die Differenz zwischen dem Erkämpften, Erreichten und eben dem noch Fehlenden. Wir wollten ja nicht einfach gleiche Rechte, wir wollten die Hälfte der Macht und eine andere Welt. Die Lücke zwischen dem grossartigen Anspruch und der erreichten Realität wiegt schwer, sie behindert, sie schwächt. Wir Alten werden sie nicht mehr füllen können. Wir sind müde geworden, abgekämpft. Es fehlt aber noch viel, uns fehlt zu viel.
Und geht es da oder dort nicht schon wieder zurück? Sehr gern würde ich wissen, wie Sie den heutigen Backlash einschätzen. Ist er sehr bedrohlich, nur vorübergehend? Sehe ich, sehen wir alten Feministinnen Gespenster?
Ihr Buch Die Erschöpfung der Frauen* macht individuell wie strukturell klar, dass Frauen müde werden können, ja auch dürfen. Ich muss mir das auch in meinem Alter immer wieder erst «erlauben». Wie von Ihnen beschrieben engt das Korsett mich noch heute ein, das man uns aufzwingt: ihr modernen Frauen wollt ja alles, Karriere, Kinder, Politik… jetzt habt ihr kein Recht zu klagen! In meiner Generation wollten wir wirklich «alles» und haben darum gekämpft, und uns erschöpft. Ja selbst wir Frauen in der Bewegung der Grossmütterrevolution mussten uns gegenseitig immer wieder darauf aufmerksam machen, wann genug genug ist. Manchmal gab es Tränen, Tränen der Trauer über so viele Abschiede, manchmal Tränen der Dankbarkeit und Erleichterung.
Meine Generation hat versucht, die Arbeit in der Frauenbewegung und die Politik in den Strukturen zu leben, zu verbinden. Das war auch eine Form von Doppelbelastung. Sie ist nicht immer gelungen. Zu oft vergassen wir Strukturfrauen die Anliegen der Bewegung und umgekehrt. Und wer sich einer Partei, der Gewerkschaft oder der Kirche oder dem Business verschrieben hatte, vergass zu oft, dass es keine Gräben zu den andern braucht, um sich zu profilieren. Abgrenzung ist ein männliches Profil, das Verbindende das weibliche. Ihr neues Buch Revolution der Verbundenheit**
ist klug und tut mir gut. Es zeigt auf, was wir einst wollten und jetzt mit Trauerarbeit verbinden müssen, weil es nicht gelungen ist oder halt nur sehr ansatzweise.
Wenn ich durch meine 7 Jahrzehnte spaziere kommen mir zwei für meine Generation wunderbare Erlebnisse der Verbundenheit der Frauen in den Sinn: Frauensession 1991: Das ganze Bundeshaus voller Frauen, im Nationsratssaal Frauen aus den Parteien, aus der Bewegung, bürgerliche Frauen, Feministinnen, alte Kämpferinnen und 20-jährige junge Frauen. Über die sexistischen Sprüche und Widerstände rund um dieses Event schweige ich! Doch es hat sich gelohnt: Es war eine Kraft spürbar, mit der wir die Schweiz, ja die Welt zu verändern hofften. Die Neuauflage der Frauensession von 2021 war anders. Es gab, gibt starke junge Frauen, die mit viel Klugheit und Energie weiterkämpfen. Ich durfte als old lady dabei sein. Das war gut und doch auch ein bisschen enttäuschend. Zum Teil waren die Forderungen dieselben wie vor 30 Jahren!!!
Frauen für den Friedensnobelpreis 2005: Wie Sie richtig festhalten, ist es unsere «Pflicht», an alle Frauen zu denken und mit allen verbunden zu sein, also nicht nur wir Feministinnen in der Wohlstandsbubble. Wir suchten und fanden 1000 Frauen auf allen Kontinenten, die den Nobelpreis verdient hätten… Im EWZ-Unterwerk in Zürich, heute das Haus Konkrete Kunst, waren die Fotos der 1000 Frauen aufgestellt. Ich ging früh morgens allein in den Raum und erlebte eine fast mystische Verbundenheit mit diesen Frauen, mit der Welt, mit dem Thema Frieden, die mich nie wieder losliess. Ja, es stimmt: weibliche Solidarität verändert die Gesellschaft, die Welt!
Ich lese in Ihrem Buch, wie wichtig Ihnen und Ihrer Generation die Forschungen und Bücher von Audre Lorde oder Christine Türmer-Rohr sind. Für uns waren sie damals Geburtshelferinnen, Ermutigungstabletten in allen Formen. Was ist in den 4 Jahrzehnten alles – nicht – passiert? Oder sollte ich sagen: wie viel ist -doch – passiert!!! Liebe Franziska Schutzbach, verstehen Sie meine Ambivalenz?
Die Forderungen, die Care-Arbeit ernster zu nehmen, sie gerechter zu verteilen und sie mindestens in den sozialen Sicherungssystemen anzurechnen, ist bei mir seit 50 Jahren bei jeder Rede, jedem Kurs, jedem Podium präsent gewesen.
Ein kleiner Erfolg war es, dass bei der 10. AHV-Revision ein Bonus für Mütter in die AHV kam. Damals nur möglich weil a l l e Frauen zusammengestanden sind
Ich habe aus einem Interview mit Ihnen einen Satz für mich übernommen: Hoffnung ist harte Arbeit. Daran beisse ich mich fest. Was Sie zu Hoffnung trotz allem sagen, ist natürlich klug. «Ich bin besser im Hoffen, wenn ich übe, auch das Unperfekte und das Scheitern der Menschen zu akzeptieren.» Das ist tatsächlich so; ich kann es aus meiner beruflichen Rolle als Sozialarbeiterin nur bestätigen. Aber betreffend Weltlage, Kriege, Klima und Ungerechtigkeit, rebelliere ich. Unser Motto der sg zweiten Frauenbewegung war ja u.a.: wir wollen uns nicht gewöhnen! Das war individuell, strukturell, privat und öffentlich gemeint. Und dabei bleibe ich auch als alte Feministin: Ich will mich nicht gewöhnen, nicht an die Autokraten, nicht an die Geldgier und die wahnsinnigen Umweltsünden. Sie, Franziska Schutzbach sehen das sicher anders. Ist das wohl der Generationen Gap? Sie haben eine andere Zeitperspektive, noch viel Kraft – das macht Hoffnung aus.
Mein Übungsprogramm Hoffnung absolviere ich dennoch, es ist ein Überlebensprogramm. Ich trainiere meine Seele, imprägniere sie, allerdings ist der Erfolg brüchig. Und dann sind wir wieder beim Buchtitel: Die Erschöpfung…
Ich freue mich, wieder von Ihnen zu lesen, zu hören. Bleiben Sie mit vielen andern dran!
Monika Stocker
*Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen, Wider die weibliche Verfügbarkeit, München, Droemer, 2021
**Franziska Schutzbach: Revolution der Verbundenheit, Wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert, München, Droemer, 2024
Das Buch ist zu bestellen beim Sekretariat. Es kostet Fr. 25.- und ist das beste Weihnachtsgeschenk für Töchter, Schwiegertöchter, Freundinnen und die Nachbarin.
Hier bestellen:
sekretariat@frauenfuerdenfrieden.ch
Der Erlös kommt vollumfänglich den Projekten der Frauen für den Frieden Schweiz zu gute. Diese sind auf der Website: www.FrauenfuerdenFrieden.ch beschrieben.
18. Januar 2024, 18h
Casa Piccola, Dübendorf
Ich hab den Mond vom Himmel geholt
Den Podcast pur gibt’s hier und überall dort, wo Podcasts angeboten werden:
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